Donnerstag , 25 April 2024
Startseite » Gesellschaft » Gesellschaftliche Kommentare » Was wäre die Welt ohne Narren, man bräuchte nur mehr davon

Was wäre die Welt ohne Narren, man bräuchte nur mehr davon

narr„Die große Stärke der Narren ist es, dass sie keine Angst haben, Dummheiten zu sagen.“ Jean Cocteau – Der ursprüngliche Narr hatte ja auch nichts zu verlieren, geschweige denn, zu lachen. Er fristete auf Grund seiner geistigen oder körperlichen Unzulänglichkeit ein trostloses Dasein abseits der Gesellschaft: Verhöhnt, verspottet, in Kuriositätenkabinetts zur Schau gestellt und mutwilliger Gewalt ausgesetzt. Zudem wurde ihm von kirchlicher Seite auch noch die Nähe zum Teufel nachgesagt, denn missgestaltete, absonderliche und dem Wahn verfallene Menschen passten nicht in das Bild des vollkommenen, nach Gottes Ebenbild erschaffenen Gläubigen.

Bequemer Weise stempelte die Obrigkeit auch unliebsame Freigeister, kritische Querdenker und fahrende Gaukler zu Narren ab und machte sie so, oftmals in gleichnamige Türme geworfen, mundtot. Die bildlichen Darstellungen untermauerten ebenfalls die Unzulänglichkeit des Narren: Attribute wie z.B. Eselsohren und Narrenkappe entlarvten ihn als dumm und Gott verleugnend, die Schnabelschuhe versinnbildlichten die Eitelkeit, eine der Todsünden. Auch der Spiegel symbolisierte zuerst nur torhaften und alles verleugnenden Narzissmus.

Im Laufe des 14. Jahrhundert wandelte sich das Bild allmählich, der Hofnarr als Unterhalter kam in Mode: Sollte der Anblick der lächerlich gekleideten Gestalt den Herrschenden anfangs noch vor eigenem Fehlverhalten bewahren, nutzten die Regenten zunehmend das geistige und schauspielerische Potenzial des Spaßmachers, um mehr über des Volkes kritische Gedanken zu erfahren und darauf einzugehen, ohne das Gesicht zu verlieren. Der Gaukler von Hofes Gnaden dagegen nutzte seine Gabe und verbreitete unter dem Schutz der spaßhaften Maske manch herbe Kritik, die dem Normalbürger den Kopf gekostet hätte. In dieser Zeit wandelte sich auch das Spiegelsymbol zum „schonungslos Entlarvenden“.

Die heutigen Narren treten meist unauffällig auf und tragen zivil. Man findet sie beispielsweise in den Reihen der Schriftsteller, Professoren, Journalisten, Kritiker, Künstler, Leserbriefschreiber, Moderatoren, Forenbesucher und, ganz allgemein, unter den GMV-Besitzern wieder. Auch eher trockene Fakultäten scheinen infiltriert: Bewiesen doch unlängst Archäologen aus Liverpool und Oxford auf närrisch geniale Weise anhand des Verhältnisses von Zeigefinger- zu Ringfingerlänge, dass der Neandertaler ein aggressives Verhalten an den Tag legte und seinem Sexualtrieb zügellos nachgab. So wird uns wissenschaftlich vorgespiegelt, dass wir uns von unseren Vorfahren nicht allzu weit fortentwickelt haben. Gerüchten zufolge sollen die Forschungsergebnisse der Bandmaßindustrie ein kräftiges Absatzplus beschert haben.

Die Todesstrafe haben die neuzeitlichen Toren – zumindest in Europa – nicht mehr zu befürchten, sie sollten dennoch stets vortrefflich vorbereitet ihrem Dienstherrn gegenübertreten – andernfalls könnten verärgerte Reaktionen durchaus einer öffentlichen Hinrichtung gleichen, wie jüngst aus Pressesprecherkreisen zu vernehmen war.

Meinen Respekt zolle ich den Narren der fünften Jahreszeit. Nein, weniger den Jecken, die uns beweisen, dass man trotz oder gerade wegen angespannter Zeiten das Lachen nicht verlernen sollte; auch nicht jenen Zeitgenossen, die am 11.11.um 11 Uhr 11 auf Knopfdruck und mit Hilfe der Maske sorgsam verborgene Seiten enthemmen. Ich denke da an die engagierten Laien in der Bütt, die mit scheinbar harmlosen Reimen und lustig unterhaltenden Wortspielereien auf die Pointe zusteuern, um dann mit ungebremster Wucht dem kommunalen Volksvertreter, aber auch dem überregional agierenden Politiker dessen Fehlverhalten um die Ohren zu hauen. Die in öffentlichen Auftritten geübte Zielperson vermag dies noch mit einem leicht gefrorenen Lächeln hinzunehmen. Bände spricht dagegen die Mimik der weniger gebrieften Lebensgefährten und Begleiter: Sollten Lippenstärke, Augenkniffe sowie die Stellung der Mundwinkel ein Indikator für die tatsächliche Betroffenheit sein, so lässt sich davon auch die Stärke des zukünftigen Karriereknicks des Vortragenden ableiten.

Närrisch im tragischen Sinne sind die Büttenredner allemal: Das Gesagte ist nach Aschermittwoch schnell vergessen, die brillanten Hiebe Makulatur. Wie schade, denn wie bemerkte schon Joachim Ringelnatz:

„Der Stein der Weisen sieht dem Stein der Narren zum Verwechseln ähnlich.“

Check Also

Rollentausch – Altersheim statt Gefängnis und Gefängnis statt Altersheim

            Wenn Straftäter statt ins Gefängnis ein Altersheim eingewiesen würden… …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert