Freitag , 19 April 2024
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Marek Soltys – ein Rollstuhlfahrer bewegt die Welt

marek_soltysSeine Videos haben Kultstatus in Polen, auf YouTube wurden sie bereits zigtausend Mal angeklickt. Marek Soltys ist jedoch weder Sänger, Rapper, Selbstdarsteller noch Schauspieler. Er dokumentiert seinen Alltag als Rollstuhlfahrer in Polen – und der ist hart, absurd und von Ausgrenzung geprägt. Dabei klingen Polens offizielle Zahlen gar nicht so dramatisch: Von rund 3,7 Millionen Behinderten ist die Rede, darunter von 200.000  Kindern, die in Spezialeinrichtungen gefördert werden oder integrierte Schulen besuchen.

Organisationen wie z.B. die Stiftung Integracja, widersprechen jedoch energisch dieser geschönten Darstellung: Sie gehen von mindestens 5,5 Millionen Betroffenen aus. Darüber hinaus werden behinderte Kinder von den regulären Schulen meist abgewiesen, auch das harte Auswahlverfahren der wenigen Integrationsschulen bietet nur selten eine Chance; so strandet der Hauptanteil, auch nur leicht gehandicapter, auf der Sonderschule. Nur jeder fünfte Behinderte wird überhaupt berufstätig – kaum ein  anderes EU-Land muss eine so geringe Quote  vorzeigen.

„Die meisten am System und dem Umfeld Gescheiterten ziehen sich zurück, verfallen in Apathie und warten auf den Tod“, so Marek Soltys in einem Interview. Er weiß, wovon er spricht. Als der heute 48jährige mit 17 einen Unfall hatte, nahm sein Schicksal eine dramatische Wendung und dem Jugendlichen die Zukunftsperspektive: Die fehlerhafte Narkotisierung bei der Behandlung lähmte ihm die Beine – Heilung aussichtslos. Er resignierte, brach die Schule ab, zog sich in sich zurück. Doch dann gewann sein Lebenswille die Oberhand, er kämpfte gegen Ablehnung und Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen, gegen zu hohe Bordsteinkanten, zu schmale Türen, fehlende Aufzüge und Rampen an öffentlichen Plätzen, gegen Behinderten-Ombudsmänner, die sich in die Lage der Blinden und Rollstuhlfahrer nicht hineinversetzen können und wollen, gegen Bürokraten, die auf seine Schreiben, wenn überhaupt, erst nach Monaten antworteten, ohne die angesprochenen Missstände zu ändern.

Vor ca. einem Jahr entdeckte er den Videoclip als „sein“ Medium:  Der erste Film über seine halsbrecherischen Bemühungen, in die Warschauer Metro zu gelangen, rüttelte auf – zigtausend fach wurde schon zugesehen, wie Soltys z.B. erfolglos versucht, mit Vollgas den Höhenunterschied zwischen Bahnsteig und Zug zu überwinden, oder einen Aufzug zu finden, der das Gewicht von Elektrorollstuhl und ihm samt treuen Begleiter, Labrador Spike, zulässt. Plötzlich setzen sich Mitmenschen für die Belange Behinderter ein, fordern barrierefreie Zugänge vor Schulen, Universitäten, Museen und Theatern. Zahlreiche Geschäfte und Einkaufspassagen haben bereits reagiert und die Eingänge behindertengerecht umgebaut, selbst das nach EU-Richtlinien gebaute Pissoir am Bahnhof funktioniert endlich.

Marek Soltys selbst wird „szalony wozkowicz“ genannt: Der verrückte Rollstuhlfahrer. Er bewegt bei weitem nicht nur seine Landsleute; mit seinen Filmen hilft er via Internet inzwischen weltweit seinen Leidensgenossen.

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